YOGA UNGEZÄHMT

Lasst uns unser wildes Erbe anerkennen und aufhören darüber zu reden, dass die Erde geheilt werden muss. Wir müssen geheilt werden!

Gedanken über die Begegnung mit der Wildnis und Pantanjalis’ erstes Yoga Sutra: hatha yoga nushasanam. Ein Aufsatz der während meiner ersten Reise nach Südafrika 2010/11 entstand

Hörst du das Brüllen des Löwen in dir?

Ein Gedicht aus der Sammlung ‘wild gifts’ von Ian MacCallum – “Wildlife Guide”, Psychiater und Schriftsteller

Die Wildnis spricht mit jedem in einer anderen Sprache. Und je länger man sich in den wilden und unberührten Gegenden der Welt aufhält, desto schwieriger wird es zu unterscheiden, wer es ist, der für wen spricht…….jiva-anand-yoga-münchen-susanne-waldmüller-vinyasa-yoga-stunden-LION

Echo

Ich kann nur für mich selbst sprechen 

und auch das nicht immer

denn wie viel von dir oder ihm oder ihr

hallt in mir als Echo wieder?

Und die Berge und die Flüsse

und das Meer

spreche ich nicht für euch

oder seid es ihr

die für mich sprechen?

Und die Adler, die Gottesanbeterinnen

und die Bäume

lebt ihr euer Leben in der Wildniss

da draußen

oder in der Wildniss in mir?

Ich kann nur für mich selbst sprechen

wenn ich euer Echo in mir kenne

kannst du das Brüllen des Löwen in dir hören

und den Ruf des Adlers in mir?

Von Grenzen und Getrenntsein

Zum ersten Mal in Südafrika. Das Land der BIG FIVE (Löwe, Giraffe, Elefant, Nashorn und Rhinozeros) und der erst vor 7 Jahren überwundenen Apartheid. 5 Wochen – ohne vorgefasste Erwartungen, ohne vorhergehende eingehende Auseinandersetzung mit der Problematik dieses Landes.

Mein erster Eindruck nach der Landung in Kapstadt – 45 Minuten Fahrt, an Townships, den südafrikanischen Gettos, entlang. Beinahe 80% der Einwohner der Kapregion sind schwarz oder “coloured” und 30 % dieser Menschen, 1,5 Millionen um genau zu sein, leben hinter einem Zaun. Meine nächste Erfahrung: ich lebe hinter einem Zaun. Die erste längere Fahrt durchs Land: die Tiere leben hinter einem Zaun. Getrenntsein nicht nur als Gefühl im Inneren, sondern auch als sichtbare Realität.

Die Antwort auf meine Frage warum ein Zaun entlang des Townships führt: “damit die Schwarzen nicht auf die Autobahn laufen”. Die Antwort auf meine Frage warum alle Naturparks

eingezäunt sind: “damit die Tiere nicht auf die Autobahn laufen”…oder ……”damit niemand die Tiere stiehlt oder tötet”. Sinnvolle Antworten oder nicht, der Zaun bleibt. Warum ich hier hinter einem Zaun lebe, habe ich nicht gefragt.

Es war schwer diesem Land näher zu kommen. In einem Reiseführer las ich den Satz: “it is hard to scratch the surface of this country”…es ist schwer die Oberfläche dieses Landes anzukratzen. Ich fühlte mich etwas wohler, da ich mein ungewohntes Gefühl der Verwirrung und des Getrenntseins nun besser benennen konnte. Da war ich nun. Hier in diesem Land, in dem Gandhi seine Aktivitäten gegen Rassendiskriminierung begann und eine Wiederbelebung und Erneuerung des Ahimsa-Ideals, des yogischen Yamas von der Gewaltlosigkeit, bewirkte, das er von nun an auf alle Lebensbereiche und besonders auf die Politik anwandte. Ich, die hinter einen Zaun gepackte und vor Zäunen stehende immer noch währende Rache der Kolonialzeit. Ich erinnerte mich auch an Formulierungen die ich in Artikeln über dieses Land gelesen hatte wie: “verletzte Erde, …die Wunden liegen tief…”.

Kontakt zur schwarzen Bevölkerung habe ich wenig herstellen können, die Wildnis im Außen habe ich auch nicht gefunden. Die Wildnis im Innen, das Gefühl für die Wildnis in mir, in dir, in uns, schuf die Verbindung.

Die Wildnis war die Inspiration für ein Kunstprojekt im Botanischen Garten Kapstadts, ein Gemeinschaftsprojekt des Bildhauers Dylan Lewis, des Architekten Enrico Daffonchio und des Autors, Psychiaters und „Wildflife Guides“ Ian McCallum zum Thema: UNTAMED – „Wenn wir unfähig sind, unsere tiefsten „natürlichen und animalischen Bedürfnisse“ anzuerkennen sehen wir alles in der Natur und auf der Erde als „wild“, bedrohlich und destruktiv an und werden versuchen es zu „zähmen“. Das sind die unbewussten archetypischen Wurzeln unserer selbstmörderischen Zerstörungswut mit der wir die Fähigkeit der Erde, Leben zu spenden und zu erhalten, zu zerstören suchen.“ Ich fühlte mich erinnert an Mark Whitwells Aussage „Nature is nothing but nurturing“ – Natur, alles in der Natur, kann nur nährend sein. Und weiter: „Yoga ist deine direkte Hingabe, Teilnahme und Intimität mit dem Leben, so wie es dir gegeben ist, was immer es auch in seiner Gesamtheit für dich ist. Das ist es, was „dukha“ (Sanskrit für Schmerz / wörtlich: Enge ums Herz) vermindert – und sonst nichts.“ Er fordert uns auf unsere Realität in ihrer Gesamtheit anzuerkennen, wie immer diese auch aussieht, da alles andere nur Schmerz bedeuten kann. Ich sah das zum Park hin offenen Ausstellungsgebäude, dessen „Grenze“ zur anderen Seite scheinbar aufgelöst wurde durch eine „lebende“, mit einheimischen Pflanzen bewachsene Wand. Im Gebäude sowie im Park Skulpturen die Mensch, Land und Tier zu einer Einheit verschmelzen ließen – Menschenkörper mit Tierköpfen oder -masken, deren Textur an Wurzelwerk oder Baumrinde erinnerte. Und ein Gedicht, welches das Meer und den Löwen in mir bewegte, so dass ich den Adler in dir rufen hören konnte – eine wunderbare Beschreibung von Yoga, Einheit. Mich haben die Inhalte der Ausstellung angeregt, mir über die „wilden Geschenke“ der Natur Gedanken zu machen und für eine Weile vergaß ich alle Zäune.

Von der Einheit

Hatha Yoga nushasanam. Hier im Jetzt ist Yoga. In jedem Moment liegt die Verwirklichung der Einheit. In jedem Moment ist es möglich aufzuwachen, tiefer zu sehen und sich daran zu er-innern, wie es sich anfühlt Eins zu sein.

Als Yogis bemühen wir uns darum, in diesem Bewusstsein der Einheit zu leben. Uns sowohl als Teil des Einen als auch als Eins wahrzunehmen. Im Hier und Jetzt sollte alles Eins sein Jedoch haben wir als kollektive Masse andere Realitäten geschaffen. Wir zerstören die Natur durch die globale Erwärmung. Wir leben in einer Welt, in der wir andere Menschen als Bedrohung oder als

minderwertig empfinden. Wir leben in einer Welt in der die Kommunikation und Interaktion der meisten Menschen mit Tieren sich darin erschöpft, dass sie sie als Produkt im Lebensmittelgeschäft oder als Nahrung auf dem Teller betrachten. Vom natürlichen Leben der “wilden Tiere” erst sind wir unendlich weit entfernt. Mehr noch. Ian McCallum spricht aus seiner Erfahrung als Psychiater und Wildlife Guide wenn er sagt:

„Qualitäten wie Wildheit und Ungezähmtheit sind in unserem kollektiven Gefühl zu Qualitäten mutiert, die verdammenswert erscheinen. Jedoch sind sie Teil unserer essenziellen Überlebensstrategie. Sie sind der gefühlsgeladenen Ausdruck unseres Bedürfnisses nach Lebensraum, Nahrung, Lust, Wut, Angst und Spiel. Indem wir uns von unserem wilden Erbe entfernen, oder schlimmer noch, indem wir dieses wilde Erbe negieren werden wir Zeuge, wie sich dieses Erbe andere, grausamere Ausdrucksformen sucht.“ Anstatt über unser „wildes Erbe“ unsere Verbundenheit zu spüren trägt es nun zu unserem Gefühl von Getrenntsein bei. Wir sehen uns als getrennt von anderen Menschen, den Tieren, von den Bäumen, von der Erde auf der wir leben. Wir unterscheiden zwischen der Natur und der menschlichen Natur. Dabei gibt es so etwas wie die menschliche Natur gar nicht. „Es gibt nur eine Natur und den spezifischen menschlichen Ausdruck dieser Natur. Erst wenn wir das verstehen, werden wir verstehen wir was wir tun müssen, um das

verlorene Gleichgewicht in der Natur wiederherzustellen.“ Das ist die Kernaussage von UNTAMED. Wir müssen unsere Beziehung zur Natur wieder entdecken. Es ist nicht unsere Aufgabe in die Natur „zurückzugehen“, es ist nicht unsere Aufgabe uns unserer menschlichen Eigenheiten zu entledigen und „frei wie die Tiere zu leben“. Es ist unsere Aufgabe unserem Gefühl von Einssein Ausdruck zu verleihen, indem wir unseren Beitrag leisten und etwas „zurückgeben“.

Yoga ungezähmt – UNTAMED fordert auf:

Wie wäre es, wenn wir die Hälfte unserer Energie, unserer Gedanken, unserer Sprache dieser Aufgabe widmen. Die Natur, die Tiere, das Land, die Bäume brauchen es – und sie werden es uns danken. Im Hier und Jetzt schaffen wir die Welt als unseren Spiegel. Als Yogis bemühen wir uns darum die Welt zu erschaffen, in der wir leben wollen. Und wie und wo beginnen wir damit: Hatha Yoga nushasanam – Hier im Jetzt ist der Yoga, wie er in der Natur beobachtet werden kann. Wenn wir die Welt als unseren Spiegel betrachten, entdecken wir, das unser Gefühl von Freiheit und

Authentizität untrennbar mit dem Wohlbefinden und der Authentizität Aller verbunden ist, und dazu gehören die Tiere, die Bäume und das Land. Als Yogis fragen wir uns, was wir wirklich wollen. Wie sieht die Welt aus, die wir schaffen wollen. Wir wissen unseren Gedanken folgt die Realität. Wir lernen zu unterscheiden zwischen leeren Verlockungen und Bedürfnissen, die den Tiefen unserer wilden Natur erwachsen. Uns umgibt eine Welt, die uns mit Reizen überflutet, ohne Unterlass versucht, unseren Appetit anzuregen und Wünsche in uns wach zu rufen, die uns Realitäten vorgibt und diese für unverrückbar erklärt.

Wenn wir uns jedoch unseres wilden Erbes, unserer natürlichen Bedürfnisse bewusst sind, fragen wir uns:

„Wonach sehne ich mich wirklich?“ Mark Whitwell sagt über Yoga „Yoga is not the suppression of mind and desire. Your real desire is the point. Yoga is the mastery of desire. To know your real desire and move on it with continuity is Yoga. Then the heart prana moves“ – Yoga ist nicht die Unterdrückung deiner Gedanken und Wünsche. Yoga ist der richtige Umgang mit diesen. Deine wirklichen Bedürfnisse zu kennen und aus dieser Motivation heraus zu handeln, das ist Yoga. Dann wird deine Herzensenergie fließen.

Demnach versuchen wir nicht unsere Bedürfnisse zu ignorieren oder zu unterdrücken. Wir versuchen auch nicht angestrengt eine Wahl zu treffen, nur weil uns gerade etwas angeboten wird. Wir wittern die Wünsche und Realitäten, die die Gesellschaft für uns konstruiert hat. Unser Leitmotiv lautet: „Was nährt mich wirklich? Wonach sehnt sich mein Herz? Was entspricht meiner wahren Natur?“ Und dann begeben wir uns in die Wildnis, auf die Fährte der Geschenke, die nur unsere Natur uns machen kann. Mit wachen Sinnen lauschen wir dem Rauschen des Ozeans, sehen die Klarheit der Berge und fühlen den Atem des Windes – in den Bäumen, in uns. In den meisten Fällen werden wir uns wohl eine Weile in unserer Wildnis verweilen müssen – manchmal auch etwas länger. Wir sind wachsam, lernen zu unterscheiden. Neugierig beobachten wir die Gottesanbeterin, folgen dem befreienden Ruf des Adlers, fassen Mut oder erschrecken, wenn wir dem Brüllen unseres Löwen begegnen. Wir lernen unserer Intuition zu vertrauen, stellen Fragen, sind neugierig, sehen was wir sehen, hören, was wir hören, handeln im Sinne unserer Wahrheit. Und dabei geht es nicht immer nur darum nett zu sein, gut zu sein, zu lächeln. Das wird uns nicht zum Leben erwecken.

Ungeschönt erleben wir unsere Schattenseiten, besonders die trennenden, neidischen, ausbeuterischen Aspekte des Selbst. Stehen UNS gegenüber – ungezähmt und unbenannt. ICH und DU – begreifen, was es heißt WIR zu sein. Was wir brauchen, um in dieser Ganzheit anzukommen?

Mut,Tatkraft, eine Seele, die danach hungert frei zu sein und Geduld und Stehvermögen. Um mit Clarissa Pinkola Estés, der großen „Cantadora“ (Geschichtenerzählerin) und Autorin von „Women who run with the wolves“ zu sprechen: „Finde deine Abenteuer, gehe überall dorthin, wo du sein willst, sieh dir an, was du findest, erlaube deinen Augen, deine Gefühle widerzuspiegeln, schreie, tanze, bewege dich, atme und singe – sei still, höre zu, betrachte – du wirst ein unglaublich lebendiges Wesen sein“ und die Freude kennenlernen, die derGanzheit innewohnt. Die ekstatische Freude, die die Yogis als den Zustand von „anand“ – Glückseligkeit beschreiben. Die Freude, in der wir wirklich SEIN wollen.

Erkennen wir also unser wildes Erbe an, unseren spezifisch menschlichen Ausdruck der Natur, der in den instinkthaften menschlichen Fähigkeiten wie Intuition und dem Wissen um unser Selbst liegt. Und hören wir auf, darüber zu reden, dass die Erde Heilung braucht. Die Erde braucht nicht geheilt zu werden. Wir müssen uns heilen.

Wie wäre es also, wenn wir die andere Hälfte unserer Energie, unserer Gedanken, unserer Sprache dieser Aufgabe widmen – UNSERER HEILUNG. Die Natur, die Tiere, das Land, die Bäume brauchen es – und sie werden es uns danken.